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Ein letztes Mal die „Leinen los“

Wenn sich die Saison dem Ende naht, zieht es die Segler nochmal hinaus in ihr Revier um die Segel zu hissen und volle Fahrt aufzunehmen, einen Hafen anzusteuern und dabei in jeder Sekunde die Natur in sich aufzusaugen. Und einen Hauch Freiheit mit in die lange Winterperiode zu nehmen. Absegeln in der dänischen Südsee im Oktober.

Noch in der Nacht fegte ein heftiger Sturm über die Förde. Bei jedem Windstoß pfiffen und heulten die Masten, ein regelrechtes Konzert, das zwar laut war, aber zugleich auch eine beruhigende Wirkung hatte. Und dann hörte der Sturm schlagartig auf, Ruhe kehrte ein, das Wasser plätscherte gegen den Bug des Schiffes, vereinzelt hörte man die Möwen kreischen. Am frühen Morgen zeigte sich die See friedlich, keine Wellen und Gichtkämme mehr, eine ruhige See. „Hoffentlich bleibt es nicht so“, dachte ich, denn ohne Wind macht ein Törn keinen Sinn, schon gar nicht, wenn es der letzte der Saison sein soll. Da will man bei ordentlichem Wind nochmal alle Manöver segeln und ein attraktives Ziel ansteuern. Mit der Polaris, jenem Segelboot der Modellreihe Bianca27, das in den 1970er Jahren in einer dänischen Werft gebaut wurde und seit einem Jahr meinen Namen als Besitzer führt.

Frank war die Freude sofort anzumerken, schon beim ersten Anblick, seine Augen strahlten und drückten die unbändige Lust aufs gemeinsame Segeln aus. Eigentlich kennt Frank die Polaris besser als ich – er war der Vorbesitzer und hat sie lange gehegt und gepflegt und zu dem gemacht, was sie heute ist: ein zuverlässiges, gut ausgerüstetes Schiff, das so manchen Festlieger im Hafen immer wieder ein anerkennendes Stauen abringt. „Es ist unsinkbar“, betont Frank immer wieder. Er muss es wissen, hat er doch die Polaris bei diversen Törns mit Sturm und starkem Seegang erlebt und ihr Segelverhalten schätzen gelernt.

Die letzten Vorbereitungen werden getroffen, eine kurze Manöverbesprechung, dann wird der Yanmar-Motor angelassen und das vertraute Tuckern lässt das Herz höher schlagen. Warm eingepackt mit Segeljacke und -hose plus Mütze und Rettungsweste fahren wir aus der Box. Sofort nach Verlassen des Hafens hissen wir Groß- und Vorsegel und erleben verzückt den Moment, indem wir den Motor ausschalten und mit der Kraft des Windes auf Kurs gehen. Fantastisch, wunderbar, göttlich – ach es gibt kein Wort dies zu beschreiben. Frank blickt gen Horizont und lässt den Augenblick auf sich wirken.

Volle Fahrt voraus

Schon hat uns der stramme Südwest-Wind mit Stärken vier bis fünf fest im Griff, die Polaris krängt, die Schaumkronen am Bug spritzen nach achtern, auf der Pinne ist ordentlich Druck. Segeln, wie es schöner kaum sein kann. Der Blick auf die Instrumententafel bestätigt: zwischen 5 und 6 Knoten macht das Schiff. Bei dem Tempo sind wir schneller in Sonderburg als geplant. Doch bis dahin genießen wir jede Böe, jede Seemeile und lassen uns von der Segelleidenschaft treiben. Bei der Einfahrt in den Hafen von Sonderburg sehen wir bereits die wartenden Schiffe, die hoffen, dass die Brücke pünktlich öffnet und ihnen den Weg frei macht in den Kleinen Belt. Wir haben ein anderes Ziel. Erstmal anlegen an der Kaimauer, vis á vis der berühmten Eismanufaktur, auf die Frank bereits ein Auge geworfen hat. Und wirklich: Wer dieses Eis nicht probiert, hat etwas verpasst, ein wahrer Genuss für den Gaumen.

Damit es nicht zu spät wird mit der Ankunft im Hafen von Høruphav, legen wir nach gut eineinhalb Stunden Aufenthalt wieder ab und erleben eine wundervolle Fahrt mit genau passendem Wind, der uns im „Butterfly -Stil“ (sieht Bild unten) ans Ziel bringen wird. Es dämmert bereits als wir den Hafen erreichen. Vom Wasser aus macht der Ort einen einladenden Eindruck, etwas verträumt und abgeschieden, aber nichts ist verbaut, überall sind die Fassaden gut restaurierter alter Villen zu sehen. Das Anlegemanöver ist etwas holprig, weil wir die falsche Box gewählt haben, aber nach etwas Arbeit liegen wir endlich fest und haben uns ein Feierabendbier verdient.

Auch wenn die Temperaturen in der Nacht auf drei Grad sinken, bleibt es an Bord doch warm genug, so dass wir entspannt und müde einschlafen. Beim ersten Morgengrauen setzen wir uns in die Plicht und können es kaum erwarten, das fantastische Schauspiel des Sonnenaufgangs mitzuverfolgen. In der Ferne türmen sich die Wolken, die jetzt mehr und mehr von der aufgehenden Sonne angestrahlt und in ein einzigartiges Rosarot verwandelt werden. Zugleich ziehen Schwärme von Seevögeln auf und begrüßen mit Kreischen und Geschnatter den neuen Tag. Mehr und mehr wird die Kraft der Sonne spürbar, Zeit fürs Frühstück, das an Bord bei dem Anblick des Wassers und der einzigartigen Naturszenerie ganz besonders schmeckt.

Angelegt im Hafen von Sonderburg, im HIntergrund das königliche Schloss

Nach der rasanten Fahrt am Vortag gleiten wir heute bei wolkenlosem Himmel eher gemächlich über die Ostsee. Aber doch mit so viel Wind, um mit drei bis vier Knoten langsam zurück zum Heimathafen zu segeln. Irgendwann greift Frank ins Fall und ändert den Kurs. „Schweinswale“, sagt er und zeigt Richtung Norden. Die Zeit haben wir noch und bei dem schwachen Wind überhaupt kein Problem diesen Schwenker zu machen – da sind wir uns sofort einig. Und es dauert gar nicht lange, bis der erste zu sehen ist und sich gleich zwei bis drei Mal zeigt um dann wieder abzutauchen. Das geht eine Weile so und es macht große Freude zuzusehen, wie die Meeressäuger auf Beutefang sind. Als wir wieder auf Kurs gehen, genießt jeder für sich die letzten Seemeilen bis zur Einfahrt in den Hafen von Marina Minde. Denn nach dem Anlegen wird es mindestens ein halbes Jahr dauern, bis es wieder heißt „Leinen los“.

Segeln im Butterfly-Stil