Archiv des Autors: Markus Howest

Verhüllt wie ein Kunstwerk

Wer sich intensiv mit der Winteraufbewahrung seines Segelbootes beschäftigt, wird schon mal ungewollt zum Verhüllungskünstler. Kommt es doch auf jedes Detail an, damit Wind und Wetter keine Chance haben. Und ganz dicht machen geht auch nicht, sonst wird’s modrig und schimmelig – Hauptfeinde des Bootes.

Gerade mal eine Woche ist vergangen seit die Flensburger Förde ein Rekord-Hochwasser erlebte. Zum Glück blieb die Polaris von Schäden verschont, andere Boote dagegen traf es heftig, selbst ganze Stege in den Häfen brachen weg. Doch das ist vorbei. Jetzt wird gekrant und verhüllt. Eine zwar notwendige Arbeit, doch es fehlt dafür manchmal der Elan. Alles, was man im Frühjahr für sein Boot tut, hat den Geschmack von Aufbruch und Vorfreude auf die neue Segelsaison, da ist kein Handschlag zu viel. Doch jetzt im Hebst an den kurzen kalten Tagen fällt alles umso schwerer, die unmittelbare Nähe auf den baldigen Segeltörn, für den man alles tut ,der fehlt. Und doch macht auch irgendwann diese Arbeit Spaß. Weil es das Boot schützt und pflegt und der erste Schritt getan ist, damit es im April und Mai losgehen kann und es wieder heißt: Kurs nehmen auf fremde Häfen.

Nachdem die Wassertanks entleert, die Schabs und Schränke ausgeräumt, Motor und Batterie winterfest versorgt sind, tritt die Polaris ihre letzte Fahrt des Jahres an, hinüber in den Schwesterhafen, in die Marina Toft, wo es gekrant wird. Dazu müssen wir die Brücke von Egernsund pünktlich um Viertel nach Voll erreichen. Der Motor startet ein letztes Mal und bei frischem bis eisigem Wind gelingt fast eine Punktlandung: Das Signal der Brücke blinkt grün, so dass wir nahezu ungebremst mit zwei weiteren Booten die Klappbrücke passieren können. Schnell ist ein freier Anlegeplatz gesichtet, das Anlegemanöver beginnt. Nicht so geschmeidig wie erhofft, aber mit einige Korrekturen liegen wir sicher und fest im Hafen. Ein heißer Tee an Bord wärmt uns auf und stimmt zugleich ein auf den morgigen Tag, wenn es um 9 Uhr heißt: Kranen.

Die Klappbrücke just in time passiert.

Etwas flau ist mir als es losgeht. Viele Fragen gehen mir durch den Kopf: klappt das Anlegen an der Kaimauer, haben wir alles gut vorbereitet, so dass nicht Unvorhergesehenes den gesamten Betrieb aufhält, wie sieht das Unterschiff der Polaris nach zwei Jahren im Wasser eigentlich aus und wie kriegen wir das Schiff so eingepackt, dass es die kalten Monaten im Freigelände gut übersteht? Doch das beste Mittel gegen zu viel Grübelei ist ganz simpel das eigene Tun. Also nähern wir uns tuckernd bei böigem Westwind der Mole. Ich schippere langsam auf die Hafenwand zu und kann wunderbar längsseitig anlegen. Der erste Part ist überstanden, jetzt arbeiten wir Hand in Hand in enger Absprache mit den Jungs, die den Kran bewegen. Ohne viele Worte laufen die Handlungen einfach und unkompliziert ab und schon hängt die Polaris über mir an den Haltegurten und blickt auf mich herab – eine ganz neue Perspektive.

Vor allem eine, die mir ein Lächeln entlockt, denn das Unterschiff sieht bestens aus. Der letzte Antifoulinganstrich hat sich offenbar gelohnt, auch hält sich die Anzahl an Muscheln und Pocken sehr in Grenzen, selbst die Schiffsschraube ist kaum befallen. Nach intensivem Kärchern ist der Eindruck noch besser – die Seglerseele wird geradezu euphorisch, und die Lust das Schiff rundherum perfekt zu verhüllen wächst.

Praktische Ideen im Minutentakt

Endlich am Parkplatz auf dem Freigelände angekommen, beginnen die Arbeiten an Deck. Frank hat eine geniale Idee: Eine Giebelkonstruktion, durch die sichergestellt ist, dass das Wasser an der Plane gut abperlt und sich keine Lachen bilden. Wir messen, hämmern, sägen und schrauben, bis das Gerüst stabil ist und die schwere Plane darüber gezogen und festgezurrt werden kann. Irgendwann haben wir es geschafft und immer wieder sind es die spontanen Einfälle, die praktischen Ideen, die am Ende das Verhüllungsprojekt voranbringen. Penibel achten wir darauf, dass wir bei aller Verhüllungslust für ausreichend Luftzirkulation an Deck sorgen. Wir öffnen alle Luken und Fächer, und lassen bug- und heckseitig jeweils eine Öffnung, um so die Bildung von Kondenswasser zu verhindern – so bleibt die Polaris frisch. Ich steige ein letztes mal hinauf aufs Deck, checke auch die improvisierten Polsterungen, die wir auf der Reling angebracht haben, damit diese nicht durch die Plane scheuern kann. Alles passt. Wir können dem Winter beruhigt ins Auge blicken und hoffen, dass er schnell vergeht. Denn die nächsten Ziele fürs Ansegeln sind schon ausgemacht.

Foto der Woche: Playa Cangrejo, Mexiko

Restaurant „La Perla“ an der Playa Cangrejo, Pazifikküste, Mexiko

Ein wunderschöner Pazifikstrand, an dem die Bewohner des nahen Dorfes um den Fortbestand der bedrohten Grünen Meeresschildkröte kämpfen, indem sie die frisch gelaichten Eier der Meeresschildkröten einsammeln, um sie danach in einem extra abgezäunten, strandnahen Gehege im Sand wieder einzugraben, bis sie nach 30 Tagen schlüpfen.

Ein letztes Mal die „Leinen los“

Wenn sich die Saison dem Ende naht, zieht es die Segler nochmal hinaus in ihr Revier um die Segel zu hissen und volle Fahrt aufzunehmen, einen Hafen anzusteuern und dabei in jeder Sekunde die Natur in sich aufzusaugen. Und einen Hauch Freiheit mit in die lange Winterperiode zu nehmen. Absegeln in der dänischen Südsee im Oktober.

Noch in der Nacht fegte ein heftiger Sturm über die Förde. Bei jedem Windstoß pfiffen und heulten die Masten, ein regelrechtes Konzert, das zwar laut war, aber zugleich auch eine beruhigende Wirkung hatte. Und dann hörte der Sturm schlagartig auf, Ruhe kehrte ein, das Wasser plätscherte gegen den Bug des Schiffes, vereinzelt hörte man die Möwen kreischen. Am frühen Morgen zeigte sich die See friedlich, keine Wellen und Gichtkämme mehr, eine ruhige See. „Hoffentlich bleibt es nicht so“, dachte ich, denn ohne Wind macht ein Törn keinen Sinn, schon gar nicht, wenn es der letzte der Saison sein soll. Da will man bei ordentlichem Wind nochmal alle Manöver segeln und ein attraktives Ziel ansteuern. Mit der Polaris, jenem Segelboot der Modellreihe Bianca27, das in den 1970er Jahren in einer dänischen Werft gebaut wurde und seit einem Jahr meinen Namen als Besitzer führt.

Frank war die Freude sofort anzumerken, schon beim ersten Anblick, seine Augen strahlten und drückten die unbändige Lust aufs gemeinsame Segeln aus. Eigentlich kennt Frank die Polaris besser als ich – er war der Vorbesitzer und hat sie lange gehegt und gepflegt und zu dem gemacht, was sie heute ist: ein zuverlässiges, gut ausgerüstetes Schiff, das so manchen Festlieger im Hafen immer wieder ein anerkennendes Stauen abringt. „Es ist unsinkbar“, betont Frank immer wieder. Er muss es wissen, hat er doch die Polaris bei diversen Törns mit Sturm und starkem Seegang erlebt und ihr Segelverhalten schätzen gelernt.

Die letzten Vorbereitungen werden getroffen, eine kurze Manöverbesprechung, dann wird der Yanmar-Motor angelassen und das vertraute Tuckern lässt das Herz höher schlagen. Warm eingepackt mit Segeljacke und -hose plus Mütze und Rettungsweste fahren wir aus der Box. Sofort nach Verlassen des Hafens hissen wir Groß- und Vorsegel und erleben verzückt den Moment, indem wir den Motor ausschalten und mit der Kraft des Windes auf Kurs gehen. Fantastisch, wunderbar, göttlich – ach es gibt kein Wort dies zu beschreiben. Frank blickt gen Horizont und lässt den Augenblick auf sich wirken.

Volle Fahrt voraus

Schon hat uns der stramme Südwest-Wind mit Stärken vier bis fünf fest im Griff, die Polaris krängt, die Schaumkronen am Bug spritzen nach achtern, auf der Pinne ist ordentlich Druck. Segeln, wie es schöner kaum sein kann. Der Blick auf die Instrumententafel bestätigt: zwischen 5 und 6 Knoten macht das Schiff. Bei dem Tempo sind wir schneller in Sonderburg als geplant. Doch bis dahin genießen wir jede Böe, jede Seemeile und lassen uns von der Segelleidenschaft treiben. Bei der Einfahrt in den Hafen von Sonderburg sehen wir bereits die wartenden Schiffe, die hoffen, dass die Brücke pünktlich öffnet und ihnen den Weg frei macht in den Kleinen Belt. Wir haben ein anderes Ziel. Erstmal anlegen an der Kaimauer, vis á vis der berühmten Eismanufaktur, auf die Frank bereits ein Auge geworfen hat. Und wirklich: Wer dieses Eis nicht probiert, hat etwas verpasst, ein wahrer Genuss für den Gaumen.

Damit es nicht zu spät wird mit der Ankunft im Hafen von Høruphav, legen wir nach gut eineinhalb Stunden Aufenthalt wieder ab und erleben eine wundervolle Fahrt mit genau passendem Wind, der uns im „Butterfly -Stil“ (sieht Bild unten) ans Ziel bringen wird. Es dämmert bereits als wir den Hafen erreichen. Vom Wasser aus macht der Ort einen einladenden Eindruck, etwas verträumt und abgeschieden, aber nichts ist verbaut, überall sind die Fassaden gut restaurierter alter Villen zu sehen. Das Anlegemanöver ist etwas holprig, weil wir die falsche Box gewählt haben, aber nach etwas Arbeit liegen wir endlich fest und haben uns ein Feierabendbier verdient.

Auch wenn die Temperaturen in der Nacht auf drei Grad sinken, bleibt es an Bord doch warm genug, so dass wir entspannt und müde einschlafen. Beim ersten Morgengrauen setzen wir uns in die Plicht und können es kaum erwarten, das fantastische Schauspiel des Sonnenaufgangs mitzuverfolgen. In der Ferne türmen sich die Wolken, die jetzt mehr und mehr von der aufgehenden Sonne angestrahlt und in ein einzigartiges Rosarot verwandelt werden. Zugleich ziehen Schwärme von Seevögeln auf und begrüßen mit Kreischen und Geschnatter den neuen Tag. Mehr und mehr wird die Kraft der Sonne spürbar, Zeit fürs Frühstück, das an Bord bei dem Anblick des Wassers und der einzigartigen Naturszenerie ganz besonders schmeckt.

Angelegt im Hafen von Sonderburg, im HIntergrund das königliche Schloss

Nach der rasanten Fahrt am Vortag gleiten wir heute bei wolkenlosem Himmel eher gemächlich über die Ostsee. Aber doch mit so viel Wind, um mit drei bis vier Knoten langsam zurück zum Heimathafen zu segeln. Irgendwann greift Frank ins Fall und ändert den Kurs. „Schweinswale“, sagt er und zeigt Richtung Norden. Die Zeit haben wir noch und bei dem schwachen Wind überhaupt kein Problem diesen Schwenker zu machen – da sind wir uns sofort einig. Und es dauert gar nicht lange, bis der erste zu sehen ist und sich gleich zwei bis drei Mal zeigt um dann wieder abzutauchen. Das geht eine Weile so und es macht große Freude zuzusehen, wie die Meeressäuger auf Beutefang sind. Als wir wieder auf Kurs gehen, genießt jeder für sich die letzten Seemeilen bis zur Einfahrt in den Hafen von Marina Minde. Denn nach dem Anlegen wird es mindestens ein halbes Jahr dauern, bis es wieder heißt „Leinen los“.

Segeln im Butterfly-Stil
Barock-Tanzgruppe

Gesang, Spiel und Tanz liegt in der Luft

An zwei Tagen wurde in der Marktgemeinde Altomünster, rund 35 Kilometer vor den Toren Münchens, die Zeit zurückgedreht. Ein Wochenende ganz im Zeichen des Barock: Die vielen Besucher aus nah und fern sorgten allein mit ihren einfallsreichen Kostümen dafür, dass ein Hauch barockes Lebensgefühl durch die Gassen und Plätze der Altstadt zog. Aber auch das üppige Bühnenprogramm und die vielen Attraktionen versetzten die Besucher bei Prachtwetter in eine andere Epoche.

Fantasievoll und „zeitgemäß“ – die Altomünsteraner verstehen sich auf Barock

Nur noch wenige Minuten bis zum Auftritt. Die Sonne brennt vom makellos blauben Himmel, in den aufwändigen Barockkostumen schwitzen die Tänzerinnen und Tänzer der Barocktanzgruppe Barroco schon, ohne auch nur ein Tanzbein geschwungen zu haben. Endlich erfüllen barocke Musikklänge den Marktplatz und die Gruppe stellt sich auf zum ersten Tanz. Schnell ist man wie verzaubert von Klang, Tanz und den altertümlich erscheinenden Bewegungen der Tanzenden. Gute 20 Minuten dauert der Einblick in die Szenerie eines Tanzballs aus dem 17. Jahrhundert. Den Zuschauern, ob jung oder alt, gefällt’s. Staunende Augen, interessiert verfolgen die Besucher jede Formation als wären sie geladene Gäste eines Balls aus einer fernen Epoche.

Genau dieses Gefühl vermittelt das Fest auf Schritt und Tritt. Sei es die historische Zauberkunst, die das junge Publikum magisch anzieht, sei es der Einblick in die historische Holzbearbeitung, ins Töpfern, Messerschleifen, Seildrehen oder Steinschleuderschießen – lauter Attraktionen, die ein Bild von damals zeichnen. Und natürlich ist es vor allem die Kulisse aus Drehorgelspiel, barockem Gesang, Gauklerei und Märchenerzählungen, die genau zum 650. Todestag der heiligen Birgitta, der Klostergründerin von Altomünster sowie dem 250. Weihetag der Pfarrkirche St. Alto, passen. Jenem markanten Gotteshaus, das jeder Besucher bereits aus allen Himmelrichtungen von weiten erkennen kann.

Beeindruckend ist vor allem das große Engagement, das von den Vereinen und Organisationen aus und um Altomünster zu diesem Fest geleistet wurde. Ohne all die ehrenamtliche Arbeit wäre ein solch riesiges und bis ins kleinste sehr gut organisiertes Fest nicht zustande gekommen. So auch der traditionsreiche Ortsverschönerungsverein, der im Altohof, direkt zwischen Rathaus und Pfarrkirche gelegen, einen Stand mit umzähligen Kuchen-, Gebäck-, und Marmaledensorten präsentierte. Alles selbst gemacht von den Mitgliedern des Vereins. Das freut die Vorsitzende, die sichtlich ergriffen und berührt ist von der Hilfsbereitschaft der Mitglieder.

Wer das Barockfest erlebt hat, wird noch eine Weile davon zehren und sich sicher freuen, wenn die heilige Birgitta wieder geehrt wird. Denn ewig lang wird der Birgittenkuchen, der an der Klostermauer entlang aufgereiht und zu kaufen war, nicht vorhalten …

Grenada: Muskat, Rum und eine Münchnerin

Sie gehört zur südlichen Gruppe der kleine Antillen, liegt nördlich der venezolanischen Küste und so mancher verbindet sie mit der Invasion der US-Marines in der 1980er Jahren. Heute ist die karibische Insel ein Paradies für Touristen, die auf der Suche nach dem ganz besonderen Spirit sind. Auf Grenada werden sie fündig.

An jenem Donnerstag vor 19 Jahren hätte sie am liebsten alles wieder rückgängig gemacht. Doch der Weg zurück war kaum noch möglich. Zuhause hatten Andrea Gerstmann und ihr Mann alle Brücken abgebrochen. Also blieben sie in Grenada, auch wenn 85 Prozent aller Gebäude auf der Insel beschädigt, und die Infrastruktur des Landes verwüstet war. Kurz nach dem Hurrikan Ivan, der am 7. September 2004 über die Antilleninsel hinwegfegte und ein Chaos hinterließ.

„Die Einwanderungsbehörde war zerstört“, erinnert sich Andrea Gerstmann. An eine geregelte Einreise war nicht zu denken. Und trotzdem gab es da etwas in den beiden Auswanderern, das ihnen sagte: „Macht weiter, es kann nur besser werden.“ Und so kam es auch. Heute leben die beiden auf der kleinen Nachbarinsel, Carriacou, in ihrem eigenen Häuschen direkt am Meer, sind bei der heimischen Bevölkerung hoch angesehen und haben den Schritt, in die Karibik auszuwandern keinen Tag bereut. „Ich wollte schon immer am Wasser leben, heute nehme ich jeden Tag ein Bad im Meer“, schwärmt die 65-Jährige und schneidet weiter das Gemüse für die Touristen an Bord des gecharterten Katamaran. Ein Job, für den sie sich gelegentlich als Köchin anheuern lässt. Sie freut sich dann besonders über deutsche Gäste. Ein „Servus“ erinnert sie an ihre Heimat München, dann wird es wach – das Heimweh. „Vor allem nach der Kultur“, sagt sie.

Zwar hat sie auf dem Archipel keine Pinakothek, keinen Opernsaal, kein Kabarett oder Theater in der Nähe, aber sie hat die Natur und die Menschen. Und das spürt der Insel-Besucher auf Schritt und Tritt, wenn er das kleine 33 x 19 km große Eiland erforscht. Ob an den einsam gelegenen Palmen gesäumten Stränden mit feinem weißen Sand, dem Regenwald mit seiner Dichte tropischer Pflanzen oder an den alten Produktionsstätten für Muskat, Kakao oder Rum – überall wird der Gast mit fröhlicher Neugier empfangen.

Der Katamaran ankert in einer kleinen Bucht, Schnorchel, Flossen und Unterwasserkamera werden klar gemacht und schon lässt sich die vierköpfige Gruppe ins warme karibische Meerwasser gleiten. Auf der Suche nach den Unterwasserkunstwerken des Briten Jason deCaires Taylor, die hier in der Moliniere Bay vor der Küste im Nordwesten der Insel zu bewundern sind. Insgesamt 65 Figuren verteilt auf einer Fläche von 800 Quadratmetern. „Man kann sie von der Wasseroberfläche aus gut sehen“, sagt Andrea Gerstmann. „Denkt dran, es sind nicht nur um Kunstobjekte“, hatte Skipper Garnet Williams den Tauchern mit auf den Weg gegeben. Ihm ist es wichtig, das die Underwater Art dazu beiträgt, das marine Ökosystem wieder herzustellen. Meerestiere und -pflanzen können sich auf den Skulpturen absetzen – so soll neues marines Leben entstehen, hofft der Skipper. Nach und nach kehren die Schnorchler zurück. Sie sind sprachlos und glücklich zugleich. Die Eindrücke waren noch überwältigender, als Ihnen Skipper und Köchin im Vorfeld erzählt hatten.

Red Snapper wird an der Straße zubereitet

Jetzt wäre Zeit für frischen Fisch und Salat. Essen und Trinken stehen bei den Einwohnern von Grenada ohnehin ganz oben auf der Liste. Die kreolisch geprägte Küche mit ihren Feinheiten ist in jedem noch so kleinen Restaurant zu genießen. „Einfach, gemüsereich und gesund“ schwärmt Garnet in höchsten Tönen.

Doch bevor eine Mahlzeit winkt, wird die Insel vulkanischen Ursprungs per Bus erkundet. Es geht hinauf ins Innere der Insel, wo unterhalb des 840 Meter hohen Mount Saint Catherine zahlreiche kleine Flüsse entspringen und Wasserfälle sprudeln. Die serpentinenreiche Straße ist gespickt mit arbeitenden Menschen, die die Straßenchaussee säubern und neu bepflanzen. „Ein staatliches Programm um Arbeitslose zu beschäftigen“ sagt Roger, der Busfahrer und Guide in einer Person. Er scheint ohnehin jeden auf der Insel zu kennen. Er wechselt ein paar Worte mit Fischern am Straßenrand, die gerade einen Red Snapper ausnehmen und für den Verkauf an der befahrenen Straße präparieren. Oder bei Charlies Bar, wo ein Besuch Pflicht ist. Denn Charlie führt nicht nur eine Bar, er hat vis-a-vis ein riesiges Kunstwerk aus Reifen entworfen. Gestrichen in den Nationalfarben des Landes und versehen mit Sprüchen, die liebevoll den Inselstaat charakterisieren.

Schokoladenprobe

Nach dem Bezirk Saint Patrick nähern wir uns Saint Andrew, der sogenannten „Foodbasket“ der Insel, wie sie Roger nennt. Die Kornkammer Grenadas, nur, dass das Korn die vielen tropischen Früchte sind, hinzu kommen Zuckerrohr und Muskat, das Hauptexportprodukt Grenadas und Symbol der Landwirtschaft des Archipels. Außerdem gedeihen Zimt, Gewürznelken, Ingwer und nicht zu vergessen – die Kakaobohne. Zu Besuch in einer der ältesten Kakao und Schokoladenfarmen der Landes: In kleinen Schalen kann jeder seinen Gaumen testen, welcher Kakaoanteil der richtige für ihn ist, bis 100 Prozent Kakaoanteil reicht das Angebot. Versetzt mit Ingwer oder Muskat ergibt sich eine ganz eigenwillige Geschmacksrichtung. Es ist eine kleine Fabrik, mit überschaubarem Volumen, aber auch hier wie überall auf dem Eiland: die Menschen wirken glücklich, sind stolz auf ihre Arbeit und freuen sich über das Interesse der europäischen Gäste.

Auf der Weiterfahrt kommen uns Männer mit Macheten entgegen. Sie gehen am Wegesrand entlang, erschöpft von der langen Arbeit auf dem Zuckerrohrfeld. Schon früh in den Morgenstunden hat ihr Job begonnen, jetzt freuen sie sich auf ein Mittagessen. „Mancher Tourist, der unterwegs ist zu den berühmten Wasserfällen im Inselinnern erschrickt, wenn er die Macheten-Männer sieht – sie flößen ihnen Angst ein“, sagt Roger und lenkt schon kurz darauf die Aufmerksamkeit auf einen ganz besonderen Ort. La Sagesse, laut Sunday Times eine der zehn schönsten Strände der Karibik. Und wirklich: Vor uns liegt eine Traumbucht samt Restaurant und 12 Cottages. Mike und Nancy Meranski kamen 1987 auf die Insel und suchten einen Ort, wo sie sich mit ihrer Tochter Julia niederlassen können. Hier fanden sie ihn.

Am Beach La Sagesse

Mike Meranski, der Hochschulprofessor für Kunstgeschichte aus Miami, der auch auf Grenada an der St. George’s University seine Lehrtätigkeit weiter ausübt, hat die Bucht zu einem Urlaubsidyll gemacht – ganz leise, authentisch und ohne Eingriffe in die natürliche Umgebung. Geradezu vorbildlich ist das kleine Paradies, Wer einmal hier war, möchte bleiben. Auch das rosafarbene Herrenhaus, das Lord Brownlow, ein Cousin von Queen Elisabeth in der Mitte der 1960er Jahre erwarb, ist wie ein Versuchung. Nach der US-Intervention von 1983 war es völlig verwahrlost und heruntergekommen. Mike hat es eigens wieder hergerichtet, einst ein altes koloniales Herrenhaus, heute das Domizil von Mike und seiner neuen Lebenspartnerin.

Als wir nach Rum-Destillerie und Muskatnussfabrik den Hafen von St. George erreichen, wollen wir zurück an Bord und bei reichlich Fisch und Rumpunsch alle Erlebnisse loswerden und Andrea sagen, wie richtig es doch war, ausgewandert zu sein. Mancher von uns würde ihr am liebsten nacheifern. Aber nicht jeder hat die Kraft sich in der Fremde durchzubeißen, erst recht nicht, wenn das vermeintliche Paradies vom Hurrikan verwüstet wurde.

Grenada im Überblick

  • Klima: mild tropisch maritim
  • Beste Reisezeit: Beste Zeit für einen Besuch auf Grenada ist während der Trockenzeit, also von Januar bis Mai. Zwar kann es auch dann regnen, insgesamt fällt aber deutlich weniger Niederschlag als während der Regenzeit (Juni bis Dezember).
  • Größe: 344 qkm (davon Hauptinsel 310 qkm)
  • Hauptstadt: St. George’s (etwa 34.000 Einwohner)
  • Landessprache: Englisch
  • Religion(en), Kirchen: überwiegend christlich (64% Katholiken, 22% Anglikaner, daneben Methodisten, Presbyterianer, Baptisten)
  • Staatsform / Regierungsform: Konstitutionelle Commonwealth-Monarchie, parlamentarische Demokratie
  • Unabhängigkeitsdatum: 7. Februar 1974