Fünf Kontinente in zwölf Stunden

Wer Neuseeland mit dem Zug erkundet, begibt sich auf eine nostalgische Reise ohne Laptop und Handy, dafür mit viel Komfort und besonderem Service. Und die atemberaubende Landschaft ist steter Gast im Abteil.

Pünktlich um 7.25 Uhr setzt sich die Lokomotive ruckelnd in Bewegung. Wie jeden Morgen startet der Overlander von Wellington nach Auckland, gut 650 Kilometer in 12 Stunden – through the heart of the country, durch das Herz des Landes, so der Slogan des ausliegenden Werbe-Prospekts. Genauer gesagt durch den Großteil der Nordinsel. Einfach nur Stress? Weit gefehlt, denn hier wird Zugfahren zelebriert – man fühlt sich in eine andere Zeit versetzt, als die Reise noch das Ziel war. Höchst ausführlich beschreibt der Zugbegleiter den Reiseverlauf, flachst herum, kümmert sich um die Gäste. „Es ist wie vor einer großen Premiere im Theater“, kommentiert eine junge Britin treffend. Die Fenster sind ausladend groß, die Sitze gut gepolstert und mit dieser Beinfreiheit konkurrieren sie mit jedem Konzertsaal.

Ausblick von der Viewing Platform

Ausblick von der Viewing Platform

Als Ouvertüre steht heute ein perfekter Sonnenaufgang auf dem Programm. Hinter den Bergen im Osten steigt der große Feuerwall langsam hinter der Bergkette empor und hüllt die Seenlandschaft um Wellington in rötlich warmes Licht. Glücklich räkeln sich die Fahrgäste und schlürfen genüsslich ihren Coffee to go. Abrupt endet die Romantik und der Overlander taucht für 4,5 Kilometer in einen Tunnel, dem fünftgrößten des Landes, wie Zugbegleiter Steve erklärt. Dann aufatmen, endlich präsentiert die sanfte Hügellandschaft dem Auge wieder feinste optische Leckerbissen. Entlang der Tasman See mit Blick auf die Kapiti Inseln, einem Naturresevat, bahnt sich die Diesellok ihren Weg Richtung Norden. Das frühe Sonnenlicht verwandelt die Landschaft in eine zauberhafte Märchenwelt. Kurz vor Paraparaumu, wo die Strände besonders schön sind, pfeift die Lok und kündigt ihre Ankunft an. Eine Hand voll Touristen besteigen den Zug. Langsam setzt die historische Zuglinie ihren Weg fort, entlang des Tararua Forest Parks – sanfte Hügel, Regenwald, Farndickichte und Wiesen mit weidenden Schafen wechseln einander ab. „Manchmal möchte man sie zählen“, meint die kesse Engländerin. „Nicht nötig“, kommt prompt die Antwort eines Mitreisenden. Landesweit sollen es 450 Millionen Schafe sein, so die letzte Zählung aus dem Jahr 2004, weiß er.

„Soeben überqueren wir den Manawatu River“, tönt es aus dem Lautsprecher. „Der Fluss ist unter den Flüssen Neuseelands einzigartig“, heißt es. Er entspringe auf der Ostseite der die Insel teilenden Gebirgszüge und münde auf der Westseite. Bei der Manawatu Gorge habe er das Gebirge durchbrochen. Eilig huschen einige Passagiere durch zwei weitere Abteilwagen, ihr Ziel ist die viewing platform – der beste Platz für Fotofans. Gar nicht so einfach, denn für das Überqueren der Wagonverbindungen braucht es gutes Stehvermögen und auf der platform selbst ist nur für sechs Personen Platz. Spätestens hier macht sich das Wild-West-Gefühl breit – das Rattern der Gleise ist ohrenbetäubend und in der Kurve sieht man von der Reling wie sich die Lok am Fuß der Berge entlang kämpft. In Palmerston North, nach etwa 100 Kilometern hat die Lok ihren Dienst erfüllt und wird gegen eine andere ausgetauscht, Gelegenheit sich auf dem einsamen Bahnhof die Füße zu vertreten.

Die Welt trifft sich im Zug

Kleine Gruppen von Passagieren stehen zusammen, tauschen Reiseerfahrungen aus, geben einander Tipps und Ratschläge. Wie eine globale Reisebörse wirkt die Szenerie. Eine Schweizerin aus Zürich berichtet vom Glacier Express zwischen Davos und dem Zermatt, Sally aus Philadelphia erzählt begeistert von ihrer Nepal-Tour und Susan aus Südafrika empfiehlt den Desert Express in Namibia. „Aber hier ist es etwas ganz besonderes“, resümiert eine Deutsche mit deutlich bayerischem Akzent. „Irgendwie europäisch und doch so anders“, bringt sie ihre Eindrücke auf den Punkt.

Die Lokomotive pfeift, Schaffner Steve wirft einen letzten Blick aufs Gleis und schon sind ist der Overlander mit frischer Lok wieder umgeben von Wiesen, Schluchten und Bergen. Nach Hunterville überquert der Zug den Rangitikei River gleich vier Mal in sieben Minuten. Immer wieder sind es diese gusseisernen Stahl-Brücken, die sich wie gemalt in die Silhouette einer unberührten Landschaft einfügen. Kurz hinter Okakune ist die platform heiß begehrt. Jetzt passiert die Diesellok eine 79 Meter hohe Schlucht über eine 300 Meter lange Brücke. Aufgeregt werden die Kameras in Position gebracht.

Wenige Minuten später ist die Hälfte der gesamten Strecke geschafft, an der National-Park-Station heißt es Time for Lunch. Mit Blick auf den Tongariro National Park und seinen knapp 3000 Meter hohen Gipfeln wird diese Rast bei Sandwich und French Fries zu einem besonderen Erlebnis. „Da genießt man den Anblick der verschneiten Gipfel und fünf Minuten später sind sie in dicke Wolken gehüllt“, beschreibt eine ältere Frau aus Auckland ihre langjährigen Erfahrungen mit den Wetterkapriolen in dieser Region. Heute ist der Panoramablick tadellos.

Zwischen zwei Tunneln schnell ein Foto schießen

Nach mehr als sechs Stunden Gleisgeräusche fallen den Fahrgästen hier und da die Augen zu, nur kurz, denn schon tut sich wieder die nächste spektakuläre Landschaft auf und die Viewing Platform ruft. Nicht immer hat man das richtige timing – manchmal ist der nächste Tunnel schneller und hat den Overlander wieder verschluckt.

In Taumarunui, das wörtlich übersetzt „großer Schirm“ bedeutet und Schutz vor der Sonne gewähren soll, wie die neue Zugbegleiterin Sarah erklärt, erreicht der Zug das Tor zu Neuseelands größtem Skigebiet am Mount Ruapehu – zugleich Ausgangspunkt für zwei Bahnstrecken mit der Dampflok. Nach Süden hin zum Vulkan Plateau am Mount Ruapehu, nach Westen über 86 Kilometer durch 24 Tunnel und weite Täler bis nach Stratford und New Plymouth. Gerade mal 6500 Einwohner zählt das Städtchen und sieht aus, wie die meisten seiner Größe – eine Straße, ein paar einfache Holzbauten, ein Hotel, eine Bank, Pub und Store. Was braucht es mehr?

Der Waggon Nr.7 des Overlander gleicht inzwischen einem riesigen Wohnzimmer, querbeet verteilt parlieren und kichern die Fahrgäste aus aller Welt, das Bistro versorgt sie großzügig mit warmen Speisen und Getränken, Sarah informiert ausführlich über wichtige Details der Reise. Etwa über Tekuiti, dem alten Goldgräberstädtchen und heutigen Zentrum für Schafsscherer und dass die Lok ab Hamilton entlang des mit 425 Kilometer längsten Flusses Neuseelands, dem Waikato River, Kurs nimmt.

Kingston Flyer mit Dampflok

Kingston Flyer mit Dampflok

Hinter Hamilton erstreckt sich flaches Weideland soweit das Auge reicht, Schafsfarmen liegen verstreut entlang der Zugstrecke, grasende Schafe erschrecken und preschen auseinander. Bei Papakura, dem letzten Stop, verabschiedet sich die Sonne als treue Begleiterin und hinterlässt einen roten Horizont, kurze Zeit später blinkt die Spitze des Skytower, Aucklands Wahrzeichen und mit 328 Metern das höchste Gebäude der südlichen Hemisphäre – eine unvergessliche Reise mit garantiert neuen Freundschaften aus aller Welt.

Weitere Zug-Highlights

Der TranzAlpine fährt zwischen Christchurch und Greymouth auf der Südinsel vom Pazifik bis zur Tasmansee an der Westküste. Vom Abteil aus sieht man die Felder der Canterbury Plains, gefolgt von den spektakulären Schluchten und Flusstälern des Waimakariri River. Der Zug fährt anschließend aufwärts durch die Southern Alps um danach den üppigen Regenwald zu durchqueren. Der TranzAlpine braucht für die 224 Kilometer Strecke 4,5 Stunden Fahrzeit. Start ist täglich um 8.15 Uhr, Preis 81 NZ Dollar.
www.tranzscenic.co.nz

Der TranzCoastal fährt täglich einmal in jede Richtung zwischen Christchurch und Picton über Kaikoura. Man sieht die Berge von Kaikoura auf der einen Fensterseite und die rauhe Pazifikküste auf der anderen. Der TranzCoastal verfügt über einen Speisewagen und einen Open Air Wagon. Abfahrt in Christchurch um 7 Uhr, Ankunft um 12.13 Uhr, Kosten für Erwachsene ca. 89 NZ Dollar. www.tranzscenic.co.nz

Der Kingston Flyer ist die einzig regelmäßig verkehrende Dampflok, die auf einer restaurierten 14 Kilometer langen Strecke zwischen den Orten Kingston und Fairlight auf der Südinsel pendelt. Ursprünglich fuhr der Kingston Flyer seit 1878 bis in die 50er Jahre zwischen den Städten Kingston und Gore. Zwischen Oktober und April fährt der Zug zwei Mal täglich. www.kingstonflyer.co.nz

Mehr Information
www.newzealand.com

Anreise
Flug mit Air New Zealand ab Frankfurt über London und Los Angeles nach Auckland

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