Kapverden: Vom Leben im Vulkankrater

Allen Gefahren zum Trotz kann das Leben im Vulkankrater auch seine Reize haben. Der Deutsch-Türke Mustafa fand unterhalb des Pico do Fogo gar seine neue Heimat.

Wie durch einen fruchtbaren Garten schlendert er von Baum zu Strauch. Hier ein Apfel dort eine Quitte, eine Papaya, Kongobohne oder Tomate. Selbst beste Weinreben gedeihen hier prächtig – in der Chã das Caldeiras, einem riesigen halbkreisförmigen Felskessel in 1600 Metern Höhe gelegen und mit einem Durchmesser von neun Kilometern. Der Krater unterhalb des Pico do Fogo auf den Kapverdischen Inseln ist die neue Heimat von Mustafa, dem Deutsch-Türken aus Aachen, der seit acht Jahren mit seiner Frau Marisa und Sohn Sam im gleichnamigen Dorf Chã das Caldeiras lebt.

Mustafa pflückt Äpfel im Krater

Mustafa pflückt Äpfel im Krater

Stolz zeigt Mustafa, der ehemalige Europameister im Speed-Klettern auf sein Dorf, in das er sich „bestens integriert“ hat, wie er immer wieder bestätigt. Kein Wunder, denn er ist ein wahrer Spezialist im Integrieren: Mustafa spricht acht Sprachen fließend. In einem ostanatolischen Dorf geboren und aufgewachsen kam der Kletterprofi nach Deutschland um Bauingenieur zu werden. Nach dem Studium spezialisierte er sich auf Sicherungsbefestigungen. Sein Wissen führte ihn auf die Kapverden, wo er im Auftrag der Deutschen Entwicklungshilfe die Via Ferrata, den Kammweg oberhalb der Bordeira, jener steilen Felswand, die den Felskessel von Süden nach Westen hin begrenzt, ausbaute und sicherte. Ein Einsatz, der sein Leben veränderte. Während der Arbeiten lernte er Marisa kennen.

Mustafa zog drei Jahre lang mit dem „around-the-world-ticket“ durch die Welt

„Ich fühle mich hier zuhause“, bekräftigt Mustafa. „Der Krater vermittelt Geborgenheit und Freiheit zugleich.“ Das sagt einer, der drei Jahre lang Besitzer eines around-the-world-tickets war und gratis durch die Welt jettete um neue Klettersteige auszukundschaften. Doch man glaubt es ihm, wie er leicht und beschwingt über das Lapillifeld, jenen kieselgroßen runden Lavabrocken läuft, immer wieder einen neuen Apfel vom Baum pflückt und über das Leben in seinem Krater erzählt. Am Pico Pequeño hält Mustafa inne. Jener kleine Vulkan, der 1995 bei seinem Ausbruch erst entstand. Von seinem Gipfel aus sieht man tief in den Schlund hinein, aus dem die Lava sprühte.

Im Umfeld ist das Lavagestein noch heute so warm, dass ein Knäuel Reisig sofort Feuer fängt. Und der Blick wandert hinüber zum Dorf unterhalb der mächtigen Bordeira, vor der die Lavamassen zum Stillstand kamen. Mustafa kennt die Geschichte des letzten Ausbruchs aus den Berichten seiner Frau. Nachts um zwei sei starker Wind aufgezogen und die Erde begann zu beben. Fluchtartig seien die Bewohner von Chã hinaus auf die Felsvorsprünge der Bordeira geeilt. Alle 1300 Einwohner wurden evakuiert, erst sechs Monate später seien die ersten wieder ins Dorf zurück gekehrt. Verletzte waren nicht zu beklagen, doch die Lava zerstörte einen Großteil der umliegenden Anbauflächen. Für die meisten der Rückkehrer bedeutete dies einen Neuanfang.

Wie für Marisa. Sie erfüllte mit dem Aufbau der Poseida Marisa, einer eigenen Pension im Ort einen lang gehegten Traum. Die zehn Zimmer und das Restaurant bestellt sie zusammen mit ihrer Schwester und den beiden Cousinen. Damit zeigt sie den anderen Frau im Dorf, wie es gehen kann, auf eigenen Beinen zu stehen.

Auch Mustafa ist zum Hoffnungsträger für viele junge Männer in Chã geworden. Er übt mit ihnen das Bouldern, das Klettern ohne Seil und Gurt, lehrt sie als Führer auf Tour zu gehen und die Geschichte ihres Pico zu erzählen. Mustafa spricht wie ein Vater über seine „Jungs“. Abends, wenn die Sonne hinter der Bordeira versinkt und nur noch der nahe Stromgenerator brummt, steht er mit ihnen vor der Poseida seiner Frau und verteilt Tipps für den nächsten Morgen, wenn sie bei Sonnenaufgang mit Touristen zur Besteigung des Pico aufbrechen, dem mit 2829 Metern zweit höchsten Berg im Nordatlantik. So schön der Aufstieg auch ist, Mustafa liebt vor allem den Abstieg, der bei ihm zur Abfahrt gerät. Mit seinem Snowboard schweift er elegant die 1000 Höhenmeter über das Aschefeld hinab – ein regelrechter Pistenspaß. Andere hüpfen oder rutschen herunter und lassen sich vom Staub einlullen.

Der Weg ins Dorf führt vorbei an bizarren Stricklava-Formationen. Im Hintergrund türmen sich die Lavafelder der letzten Ausbrüche aus den Jahren 1951und 1995 – die älteren Felder dunkler, die jüngeren heller. Im Ort grüßen die Bewohner scheu bis freundlich. Die niedrigen Häuser aus Naturstein sind einfach gebaut, selten verputzt. „So gelten sie als nicht fertig und sind steuerfrei“, erklärt der Kraterbewohner. Auf den Dächern befinden sich kleine Sammelflächen, in denen das wenige Regenwasser gesammelt wird. „Im September hat es den ganzen Monat geregnet“, sagt Mustafa, „das muss für ein ganzes Jahr reichen.“

Marisas Pousada mit Blick auf den Fogo

Marisas Pousada mit Blick auf den Fogo

Zuhause in der Poseida Marisa herrscht rege Betriebsamkeit, das letzte Licht vor Sonnenuntengang wird genutzt. Gemüse von den Feldern der fruchtbaren Vulkanerde ist bereits geerntet und eine besondere Speise zubereitet, dazu einen fruchtigen Cha do Fogo von der benachbarten Weinkooperative. Und während Mustafa mit Sohn Sam auf die Veranda zu seinen Jungs verschwindet, erzählt Marisa mit eigenen Worten, wie es war damals in der Nacht vom 2. auf den 3. April 1995 als erst die Erde bebte und dann sechs Wochen lang die Lava strömte …

Übernachtung und Führung

Casa Marisa
Chã das Caldeiras
Fogo, Cabo Verde
Tel:+ 238 2821662
amarisa.lopez@gmail.com
www.fogomarisa.com

Anreise:

Mit TAP Portugal von München oder Frankfurt nach Lissabon, weiter nach Praia auf Santiago ab 640 Euro pro Person hin und zurück incl. Steuern und Gebühren. Weiter mit Cabo Verde Airlines (TACV) oder per Schiff nach Fogo.

Infos über Sao Felipe, Hauptstadt von Fogo, auf der deutschen website: www.sao-filipe.com

Aluguer, Sammeltaxi, von São Filipe nach Chã das Caldeiras: morgens ab Mercado Municipal (500 Escudos)

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