Seebrücke Sellin: „Mich juckt die Linse“

Wenn heute Eis und Schnee die Ostseeküste im Griff haben, droht kaum Gefahr für die berühmte Seebrücke von Sellin. Doch das war vor 90 Jahren ganz anders. Damals bedrohte Packeis die Brücke. Der Rüganer Fotograf Hans Knospe dokumentierte den Einsturz, sein Enkel erinnert sich.

Aufgepeitscht vom eisigen Nordostwind türmen sich die Gischtkämme der Ostsee gewaltig auf. Die Brandung tost und kracht ein ums andere Mal bedrohlich laut gegen die Seebrücke. Ein Getöse, das Andreas Käske, Inhaber von „Photohaus Knospe“ in der prachtvollen Wilhelmstraße im Ostseebad Sellin auf Rügen, an damals erinnert. Am 24. März 1924 habe sein Großvater Hans Knospe gehört, wie es furchtbar knackte und krachte am Strand. Knospe habe schnell seine Kamera gezückt und sei hinunter zum Strand gerannt. Dort hat der Selliner Fotograf festgehalten, wie die Pfahlbäume der Brücke seeseitig wie Streichhölzer unter dem Druck des Packeises wegbrachen. Eine Auswahl dieser Schwarz-Weiss Fotos zeigt Enkel Käske Detail verliebt seinen Besuchern, andere hängen im Laden aus. Der Nachlass von Großvater Knospe sei gut archiviert, versichert der 52-jährige.

Enkel Käske zeigt die alten Fotos der zerstörten Brücke

Enkel Käske zeigt die alten Fotos der zerstörten Brücke

„Die Seebrücke war sein Lebensmittelpunkt“, erzählt der Enkel und erinnert sich an die Erzählungen des Großvaters aus dem Jahr 1929, als erneut das Eis die Brücke bedrohte. Spezialkommandos aus Stettin sprengten die Eisschollen, um den Druck von der Brücke zu nehmen – diesmal mit Erfolg. Nicht nur bei Gefahr und in Katastrophenfällen war Hans Knospe im Einsatz. „Mich juckt die Linse“, seien seine Worte gewesen, wenn es ihn hinauszog mit seiner Kamera. „Er wollte dokumentieren, was der Winter aus der Ostsee macht“, erzählt Käske. Eindrucksvolle, bizarre Wintermotive einer stets zugefrorenen Ostsee mit Bergen von Schnee, kunstvollen Eiszapfen und kräftigen Eisschollen hinterließ er der Nachwelt.

Die Seebrücke bei Sturm

Die Seebrücke bei Sturm

Im strengen Eiswinter 1941/42 juckte Knospe wieder die Linse und der Strandfotograf hielt fest, wie Eis und Sturm die Seebrücke endgültig zerstörten. Nur der Eingangsbereich mit dem Brückenhaus blieb übrig. Als Tanzgaststätte hauchte sie der Brücke wieder neues Leben ein, in den 1970er Jahren wurde sie baupolizeilich gesperrt und 1978 erfolgte ihr kompletter Abriss.


Fortan war es Knospes Herzenswunsch, die Brücke wieder im alten Glanz erstrahlen zu sehen. Daraus machte er auch beim Besuch des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker in Sellin keinen Hehl. Als ausgewiesener Foto-Biograph der Seebrücke schenkte er Weizsäcker ein Bild der alten Brücke und erzählte ihm von seinem Wunsch die Einweihung eines neuen Bauwerks erleben und fotografisch festhalten zu wollen. Sein Traum erfüllte sich: Am 2. April 1998 war die Seebrücke nach einer historischen Vorlage von 1927 mit seiner 394 Meter langen Landungsbrücke fertiggestellt. „Ein Jahr vor seinem Tod“, sagt Käske, „er starb mit 99 Jahren.“

Die heutigen Winter sind längst nicht mehr so bedrohlich für die Brücke wie einst

Die heutigen Winter sind längst nicht mehr so bedrohlich für die Brücke wie einst

Vom nahen Strand her dröhnt und pfeift der Nordostwind beunruhigend. Nicht für Käske, er bleibt gelassen, seine Linse juckt nicht. „Ich fotografiere nicht mehr so akribisch“, sagt er selbst. Heute sei es mehr die Hochzeitsfotografie, die sein Geschäft sichert, weniger die Landschaftsaufnahmen. Und die Hochzeiten finden im Baltic-Saal des Brückenhauses statt, dem geheimen Standesamt von Sellin – 200 Trauungen im Jahr. Ohne Zweifel: Die Seebrücke bleibt der Lebensmittelpunkt von Sellin. Hans Knospes Linse hätte ihren Spaß daran.

Mehr Information

www.ostseebad-sellin.de

www.photohaus-knospe.de

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