Apulien: Das vergessene Land

Lange Zeit schlummerte Italiens Absatz mit seinem Sporn, dem Gargano, unbeachtet vor sich hin. Langsam entdeckt der Reisende die Fülle seiner Kultur und Geschichte, seine unberührten Sandstrände, und die einzigartige Küche. Eine Entdeckungstour lohnt sich.

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Die Trulli von Alberobello

Männer rufen laut, wiegen Tintenfische, säubern Seeigel, kaufen und verkaufen, verhandeln und lachen. Wie jeden Sonntagmorgen in Bari. „Reine Männersache“ sagt Elke Sciscio, la tedesca, die seit 18 Jahren Touristen ihre Wahlheimat näher bringt. Eine „Hinterlassenschaft der Völker aus dem Orient“, die den Stiefelabsatz lange Zeit prägten.

Die Deutsche mit italienischem Pass liebt dieses Land, das die Römer einst „Finis terrae“, das Ende der Welt, nannten. Nicht allein wegen seiner 820 Kilometer schönster Küstenabschnitte oder seiner reichen Kulturschätze, auch nicht wegen der köstlichen Regionalküche und den guten Weinen. „Die Menschen hier sind so offen und mitfühlend“, sagt Elke Sciscio, „das erlebe ich jeden Tag aufs Neue. Die Apulier lieben ihre Heimat und wer fortzieht kommt bestimmt irgendwann zurück.“

Weisse Stadt Hügel

Die citta bianchi Ostuni

Schon auf der Fahrt entlang der Adriaküste Richtung Süden entdecken wir die ersten Zeugnisse der wechselhaften Geschichte Apuliens. Aus dem rötlich schimmernden Erdreich ragen zeitlose alte casedde, Unterstände und paghiari, Scheunen hervor. Sie gehörten zu den charakteristischen Trulli, jenen runden, weißen Häusern mit schuppenartigen Bruchstein-Schieferdächern, deren Ursprung auf vorgeschichtliche Zeit zurückgeht. In Alberobello, südlich von Bari, gibt es mehr als 1300 dieser zum Unesco-Weltkulturerbe zählenden Rundhäuser.

Region ist reich an hochqualitativem Olivenöl

Im frühen Abendlicht glitzern die endlos scheinenden Olivenhaine silbrig, die rote Erde bildet einen scharfen Kontrast. Manche der knorrigen Bäume sind bis zu 600 und mehr Jahre alt und liefern noch immer eine reiche Ernte. Wie die ganze Region: 40 Prozent des gesamten Olivenöls Italiens stammt aus La Puglia. In der Ferne auf einem Hügel sind die weiß getünchten Häuser eines Dorfes zu erkennen. Aus deren Mitte ragt eine stattliche Kirche empor – eine der vielen „Zeitzeugen“ der unterschiedlichen Einflüsse, die den Stiefelabsatz in seiner langen Geschichte heimgesucht haben. Einst war die Region heiß begehrt: Griechen und Römer, Spanier und Araber kamen, siedelten und wurden wieder vertrieben. Auch Friedrich II, der Stauferkaiser, hat mit zahlreichen Kirchen, Kastellen und Burgen seine Spuren in Apulien hinterlassen.

Spiegelung

Trani mit Hafen und Kirche

Südlich von Leece erstreckt sich die karstige Hügellandschaft des Murge Salentine Wir fahren vorbei an steinigen Feldern, uralten Olivenhainen, niedrigen Weinstöcken, passieren Feigen- und Mandelbäume. Bis dicht an die Küste reichen die Ackerflächen. Noch bis vor zehn Jahren gab es hier nur Fischerorte, heute sind an vielen der mittelalterlichen Torre, den Wachtürmen, die einst zum Schutz gegen Türken und Sarazenen gebaut wurden, Ferienorte entstanden und sie tragen deren Namen. Ferienorte? Auch wenn Apulien als weithin unentdeckt gilt, habe der Tourismus in den vergangenen Jahren in der Region um Gallipoli zugenommen, erzählt uns der nette Herr an der Bar am Corso Roma. „Vor allem Italiener und immer mehr Deutsche entdecken La Puglia“, sagt er lächelnd.

Der belebte Corso führt zur alten Brücke von Gallipoli, welche die Neustadt von der im Meer schwimmenden Altstadt trennt. Auf einer kleinen Insel erhebt sich die „schöne Stadt“, griech.: Kalé-polis, rundherum von einer alten Wehrmauer umgeben. Im Inneren windet sich ein Labyrinth aus eng verschlungenen Gassen, die auf winzige Piazzas münden. Innenhöfe und weiße Häuser erinnern an arabische Architektur. Auch hier thront über allem eine Kathedrale – St. Agatha, ein Meisterwerk des Barock, mit ihrer Fassade aus dem gelblichen Tuffstein der Region.

„Ein Paradies für Vegetarier“

Der gesprächige Verkäufer im Tabacchi-Laden in der Altstadt schwärmt von den traumhaften Sandstränden und dem glasklaren sauberen Wasser seiner Heimat. Und dann erzählt er von seinen Jahren in Mailand und das der Fortschritt früher immer aus dem Norden kam. „Basta“, sagt er abrupt und schlägt mit der rechten Hand auf den Kassentisch, „meine Kinder sollen hier aufwachsen.“ Kurz darauf sitzen wir im Ristorante Il Bastione an der alten Stadtmauer mit Blick auf den Hafen, Fischer flicken ihre Netze, nehmen Kurs aufs Ionische Meer, Möwen begleiten sie kreischend. In ihren geflickten Netzen wird bald La Spigola, Seebarsch, zappeln, denselben lassen wir uns gerade auf der Zunge zergehen – auch das ist Gallipoli. Die Apulier sagen: Es ist der beste Fisch Italiens. Sie sagen auch, dass nirgends im Land so gesund gegessen wird wie in Apulien. „Ein Paradies für Vegetarier“, legt sich Elke fest. Allein bis zu 40 Antipasti gebe es, ganz zu schweigen von den handgeformten orechiette, Öhrchennnudeln mit gekochten Rübensprossen und Sardellen. „Alles basiert auf regionalen Zutaten – Getreide, Gemüse und Olivenöl.“

An der Südspitze der Halbinsel bei Marina di Léuca, wo sich ionisches und adriatisches Meer treffen, beginnt die Küstenstraße nach Otranto. „Atemberaubend, unvergesslich, einzigartig“ sei die rund 40 Kilometer lange Steilküste, so überschlagen sich die Superlative. Und es stimmt. Sie braucht sich vor der Amalfitana nicht zu verstecken. Ihr Vorteil: Kaum einer weiß um ihre Schönheit: Keine Staus, keine Campingplätze, keine überfüllten Buchten. Idylle pur, hier und da der verblichene Glanz herrschaftlicher Adelshäuser. Wie in Santa Cesarea Terme, einem bekannten Badeort mit schwefelhaltigen Thermalquellen: Feudale Villen im muselmanischen Stil säumen auch hier die Küstenstraße. Hinter dem südöstlichsten Punkt Apuliens, am Capo d’Otranto, von wo man an klaren Tagen bis nach Albanien sehen kann, wird die Landschaft karstig und schroff, Kühe weiden auf dem Hochplateau vor dem Horizont des blau schimmernden Meeres.

In Otranto, auch Pforte zum Orient genannt, spüren wir die Geschichte aus Orient und Okzident auf Schritt und Tritt: Hier die romanische Kathedrale mit dem faszinierenden Fußbodenmosaik, dort das Kastell der Aragonesen, das mit seinen Türmen und Mauern die Altstadt umgibt. Und am Hafen eine Gruppe von Männern – redend, gestikulierend, lachend…

Mehr Information
Italienisches Fremdenverkehrsamt ENIT, Kaiserstr. 65, 60329 Frankfurt/Main,
Telefon: 0 69/23 74 34,
www.www.enit.de

Unterkunft
Neben rund 770 Hotels und 150 Ferienhäusern sowie zahlreichen bed&breakfast-Pensionen lässt es sich besonders urig in den historischen Gutshäusern übernachten, den sogenannten Masserien, die in den letzten Jahren in stilvolle Hotels umgebaut wurden.

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